Lektionen aus Brandereignissen und Reaktionen im 19. Jahrhundert
Das Ereignis: Menschliches Versagen, späte Entdeckung und unzureichende Ausrüstung
Am 4. September 1803 ging Johannes Temperli mit seiner Familie nach dem Sonntagsgottesdienst im Nachbardorf Volketswil nach Hause nach Gutenswil. Die Luft war noch warm von der Spätsommersonne, und der Duft von frischem Heu nach einer erfolgreichen Ernte lag über dem Dorf. Johannes, schon mit Gedanken ans Mittagessen beschäftigt, wurde durch panische Rufe aus seinen Tagträumen gerissen.
„Feuer!“
Sein Nachbar rannte mit einem Eimer Wasser vorbei. Erst jetzt erkannte Johannes das Ausmass — Rauch stieg hinter seinem eigenen Haus auf. „Der Kleine vom Keller hat mit Feuer gespielt! In deiner Scheune!“, rief der Nachbar.
Johannes rannte los. Die Flammen kletterten bereits an der hölzernen Struktur empor, noch nicht höher als ein Mann — aber wachsend. Die Nachbarn eilten herbei, um eine Eimerkette zu bilden. Wasser schwappte von Hand zu Hand. Doch das Feuer liess sich kaum eindämmen.
„Holt Hilfe aus den nächsten Dörfern!“, rief Johannes seiner Frau zu, während er sich in die Kette einreihte. „Wir müssen das Feuer eindämmen, bevor es sich weiter ausbreitet.
Die Reaktion: Feuerlöschpumpen, Pferdewagen — und ein leerer Weiher
Hilfe kam tatsächlich. Bald trafen fast vierzig Feuerwehrleute und Spritzenwagen aus den umliegenden Dörfern ein. Für einen Moment keimte Hoffnung auf.
Doch der Dorfweiher war innerhalb weniger Minuten geleert.
Die Männer versuchten, Wasser aus einem anderen Weiher jenseits des Hügels mit Pferdewagen heranzuschaffen, doch die Strasse war zu heiss. Der Plan scheiterte. Trotz ihres Mutes waren die Feuerwehrleute dem Inferno fast schutzlos ausgeliefert.

Quelle: Chronikstube des Vereins Ortsgeschichte Volketwil, VOV)
Die Folgen: Hohe Kosten und zerstörte Infrastruktur
Die Bewohner von Gutenswil kämpften bis in den Abend, doch das Feuer liess sich nicht eindämmen. Nur fünf Häuser im Unterdorf blieben stehen. Vierzehn brannten nieder, 39 Haushalte — 205 Menschen — standen ohne Zuhause da. Glücklicherweise gab es keine Todesopfer. Unter der Koordination von Pfarrer Weiss und dem Kanton wurden Spenden und Wiederaufbaugelder gesammelt. Das Dorf wurde wiederaufgebaut — aber zu enormen Kosten.
Wie hätte dieses Unglück verhindert werden können?
Gutenswil war auf eine Katastrophe dieses Ausmasses nicht vorbereitet. Die Risiken waren offensichtlich — trockene Holzbauten, scheunenweise Heu, begrenzte Wasserreserven — doch niemand hatte sie offiziell dokumentiert oder bewertet. Strukturelle Schutzmassnahmen wie Brandschneisen oder Vorschriften zum Umgang mit offenem Feuer fehlten. Ein Frühwarnsystem gab es nicht — die Entdeckung beruhte allein auf Zufall. Als das Feuer ausbrach, waren die Reaktionen mutig, aber chaotisch: keine festgelegten Rollen, keine eingeübten Abläufe, keine koordinierte Planung. Der Wiederaufbau war zwar stark gemeinschaftsgetrieben, aber langsam und ineffizient. Die meisten Governance-Massnahmen — wie neue Vorschriften und Abgaben — wurden erst nach der Katastrophe eingeführt.
Der Wendepunkt: Aufbau eines kantonalen Brandschutz-Ökosystems
Die Menschen im 19. Jahrhundert verstanden: Mut allein reicht nicht. Zwar gab es Feuerwehrleute und Ausrüstung, doch sie arbeiteten unabhängig, ohne Koordination. Deshalb führten mehrere Kantone eine bahnbrechende Initiative ein: öffentliche Gebäudeversicherungen. Diese finanzierten Ausbildung und Ausrüstung und koordinierten die Einsätze der Feuerwehren. Im Gegenzug erhielten sie ein Monopol auf die Gebäudeversicherung, die für alle Hauseigentümer obligatorisch wurde. Bis heute profitieren alle von diesem systematischen Schutz.
Das Ergebnis? Weniger Brände. Geringere Schäden. Schnellere Erholung. Die Schweiz hatte die Erfolgsformel entdeckt: Fachwissen, Finanzierung und Governance in einem einheitlichen Schutz-Ökosystem zu bündeln.
Das heutige Feuer ist digital — und wir brauchen denselben Ansatz
Heute steht die Schweiz vor einer neuen Bedrohung — nicht aus Flammen, sondern aus Datenlecks, Ransomware und Betriebsunterbrechungen. Cybervorfälle sind heute das, was Dorfbrände 1803 waren: vorhersehbar, vermeidbar — und doch zu oft ignoriert, bis es zu spät ist.
Wie damals in Gutenswil ist unsere Reaktion auf Cyberrisiken zersplittert. Wir haben Talente. Wir haben Werkzeuge. Doch es fehlt eine gemeinsame Struktur, die Prävention, Erkennung, Reaktion, Wiederherstellung und Regulierung zu einem widerstandsfähigen Gesamtsystem verbindet.
Es ist Zeit, dass die Schweiz ein weiteres Schutz-Ökosystem aufbaut — diesmal für die Cybersicherheit.
NIST-Funktionen im Vergleich
NIST-Funktion | Historisches Beispiel (Gutenswil 1803) | Fehlendes/Schwäche | Parallele zur Cybersicherheit |
Identify | Dorfbewohner wussten, dass Scheunen voller Heu und Holzhäuser gefährlich waren | Keine formale Risikobewertung, kein Register kritischer Assets | Asset-Inventar, Risikoanalysen, Business Impact Analysis |
Protect | Eimerkette, gelegentliche Verbote von offenem Feuer (informell) | Keine Brandschneisen, keine Gebäudetrennung, unzureichende Wasserreserven, keine Sicherheitsrichtlinien | Netzwerksegmentierung, Zugriffskontrollen, sichere Konfiguration, Backups |
Detect | Feuer wurde zufällig vom Nachbarn entdeckt | Keine Alarmglocke, kein Wachturm, keine Frühwarnmechanismen | Monitoring, Intrusion Detection Systems (IDS), SIEM-Alerts |
Respond | Nachbarn bildeten Eimerkette, holten Hilfe aus Nachbardörfern | Mutig, aber unkoordiniert; keine definierten Rollen, keine Übungen, keine Einsatzbereitschaft der Geräte | Incident Response Pläne, Playbooks, SOC-Koordination, forensische Analyse |
Recover | Umsiedlung in Nachbardörfer; Spenden und Wiederaufbaufonds von Pfarrer Weiss und Kanton | Langsam, teuer, nur teilweise gedeckt | Business Continuity Planung, Disaster Recovery Fonds, Cyberversicherung |
Govern | Nach dem Brand Einführung von Gebäudeversicherungen zur Standardisierung | Governance erst nach der Katastrophe; kein Vorab-Eigentum | Sicherheits-Governance-Modelle, Regulierung/Standards, Rollen, Prozesse, Aufsicht |
CYRENZH und Versicherungen: Der Mehrwert der Zusammenarbeit
Der historische Erfolg der Gebäudeversicherungen zeigt: Systematischer Schutz entsteht, wenn Fachwissen, Finanzierung und öffentlicher Auftrag zusammenspielen. Heute braucht es für die Cybersicherheit eine ähnliche Allianz. CYRENZH— als akademisches Zentrum für Forschung, Ausbildung und gesellschaftliches Engagement — bietet Versicherern eine einmalige Chance, nicht nur Schadenszahler, sondern Präventionspartner zu werden.
1. Forschung – Bessere Risikomodelle durch geteiltes Wissen
Für Versicherer ist der Zugang zu aktueller Forschung mehr als ein Prestigevorteil — er ist ein Datenvorteil. Cyberrisiken entwickeln sich rasant, und verlässliche Modelle beruhen nicht nur auf historischen Schadendaten, sondern auch auf neuen Angriffsmustern, Erkenntnissen über menschliches Verhalten und technologischen Trends.
Durch die Zusammenarbeit mit CYRENZH gewinnen Versicherer:
- Bessere Risikomodelle dank Zugang zu aktuellen Datensätzen und Verhaltensstudien.
- Innovationsschub, etwa durch die Entwicklung neuer Produkte wie Cyberpräventionspakete für KMU oder Awareness-Module für Versicherungsnehmer.
- Reputationsvorteil, da sie als proaktive Sicherheitspartner und nicht nur als passive Schadensregulierer wahrgenommen werden.
2. Bildung – Prävention als nachhaltigster Kostenfaktor
Jeder gut geschulte Kunde bedeutet einen verhinderten Schaden. Durch die Integration von Versicherern in die Bildungsinitiativen von CYRENZH— von Universitätskursen bis zu öffentlichen Workshops — gewinnen beide Seiten:
- Weniger Vorfälle, weil informierte Kunden digitale Risiken erkennen und vermeiden.
- Geringere Auszahlungen, da erfolgreiche Angriffe, Betrugsversuche und Haftungsansprüche abnehmen.
Wie früher die Gebäudeversicherungen Feuerübungen und Sicherheitskampagnen finanzierten, können moderne Versicherer in Cybersecurity-Awareness investieren — und direkt von niedrigeren Schadenquoten profitieren.
3. Gesellschaftliches Engagement – Stärkung des KMU-Rückgrats
Die meisten Schweizer Versicherer haben ein zentrales Kundensegment gemeinsam: kleine und mittlere Unternehmen (KMU). CYRENZH entwickelt mehrere Initiativen, um Bürger aktiv in die Cyber-Resilienz des Kantons einzubinden. Die Cybersecurity Clinic hat bereits die IT-Sicherheit mehrerer KMU im Kanton Zürich und darüber hinaus verbessert. Weitere Projekte laufen, um Bürger, z. B. Pensionierte, in die Cyberabwehr einzubeziehen.
Unterstützung solcher Initiativen bringt Versicherern:
- Mehr Resilienz im KMU-Sektor, was die Schadenslast senkt.
- Frühzeitige Ausbildung der nächsten Generation, wie einst freiwillige Feuerwehrleute zu Profis wurden.
- Stärkere Position im Ökosystem, da Versicherer als Mitgestalter statt nur als Schadenszahler wahrgenommen werden.
Aufruf zum Handeln
Wie einst die Gebäudeversicherungen Chaos in koordinierte Resilienz verwandelten, verlangt heute die Cybersicherheit eine ähnliche Allianz. CYRENZH bietet die Plattform — die Versicherer können die Kraft beisteuern. Gemeinsam können wir Risiko in Bereitschaft verwandeln.